Was kann Barrierefreiheit?

Kurz nachdem der letzte Beitrag fertiggestellt war, stieß ich in meiner Notizenapp auf folgendes: Statt immer wieder zu diskutieren, was Barrierefreiheit sei, sollten wir lieber besprechen „Was kann Barrierefreiheit?“ Und genau darum soll es heute gehen.


Als Mitglied im Normenausschuss kenne ich die Diskussion aus erster Hand. Wie genau legt man fest, welche Lösung barrierefrei ist? Warum ist Variante a besser als Variante b, wer profitiert wovon am meisten? Denn genau da liegt meistens schon die größte Herausforderung: was für einen Menschen Barrierefreiheit darstellt, ist für einen anderen genau das Gegenteil.

Ein gutes Beispiel dafür sind abgesenkte Bordsteine an Straßen. Nur wenn es solche gibt, ist für rollstuhl- oder rollator-nutzende Personen der problemlose Übergang möglich. Gleichzeitig können abgesenkte Bordsteine für blinde und sehbehinderte Menschen eine Gefahr darstellen. Denn durch den üblichen Höhenversatz zwischen Gehweg und Fahrbahn ist klar erkennbar, wo die Gefahrenzone beginnt. Es gibt also zwei völlig gegensätzliche Barrierefreiheitsanforderungen: abgesenkt gegen nicht abgesenkt. Die Lösung kann dabei nur (wie so oft) sein, Angebote zu schaffen. Wenn ich beide Varianten nebeneinander anbiete, können alle auswählen, welche sie bevorzugen.

Die konkrete Beantwortung, was denn nun barrierefrei ist, hängt mit der Perspektive zusammen.
Und mit den individuellen Fähigkeiten. Nur weil zwei Menschen die gleiche Behinderung haben oder die gleiche Art von Hilfsmitteln benutzen, heißt das nicht, dass sie die gleichen Barrierefreiheitsbedarfe haben. Allenfalls die übergeordneten Ziele stimmen überein, wie im letzten Beitrag erläutert.

Lösen wir uns also von den individuellen Anforderungen und nehme das Thema ganzheitlicher, sicherlich auch idealistischer in den Fokus. Was wollen wir erreichen? Was wollen wir ermöglichen? Was kann Barrierefreiheit leisten?

Barrierefreiheit schafft Raum für Inklusion

Vor ein paar Jahren kam mir mal die Formulierung „Barrierefreiheit schafft Raum für Inklusion“ in den Sinn. Klingt wie ein toller Werbespruch oder ein Wandtattoo, aber trifft es auf den Punkt. Denn Barrierefreiheit ist nie nur das Ziel, sondern eigentlich nur ein notwendiger Schritt auf dem Weg zum eigentlichen Ziel. Und das lautet als Gesellschaft nun mal Inklusion.

Inklusion ist die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen der Gesellschaft. Das ist ein Menschenrecht! Damit dieses Menschenrecht jedoch von Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen oder chronischen Erkrankungen wahrgenommen werden kann, braucht es Barrierefreiheit. Denn Teilhabe ist nur möglich, wenn die Räume zugänglich sind. Damit meine ich nicht mal nur Räume aus architektonischer Sicht, sondern auch im übertragenen Sinn: Entscheidungsebenen, Machtzirkel, Bühnen. Barrierefreiheit ermöglicht also nicht nur, einen Raum zu betreten, sondern den Raum einzunehmen und ihn zu füllen.

Brechen wir es mal auf drei Aspekte herunter. Was kann Barrierefreiheit?

Barrierefreiheit schafft Teilhabe. Und im übrigen auch zur Teilgabe! Nur wenn Menschen mit Behinderung der Zugang zu allen Lebensbereichen ermöglicht wird, kann die Gesellschaft als Ganzes profitieren.

Barrierefreiheit schafft Qualität. Denn mit Barrierefreiheit geht auch hohe Funktionalität unabhängig von individuellen Fähigkeiten einher. Denn was barrierefrei ist, funktioniert für alle. Und sollte das nicht das Ziel sein, insbesondere in der Architektur?

Barrierefreiheit schafft Nachhaltigkeit. Nachhaltiges Bauen bedeutet mehr als ressourcenschonend und energieeffizient bauen. Es bedeutet auch, dass ein Gebäude langlebig ist und sich den verschiedenen Nutzungen anpasst. Und genau das ist nur möglich, wenn das Gebäude auch barrierefrei ist. Bauen mit Barrieren vergrößert die Kosten und verschiebt sie in die Zukunft. Kurzfristig mag es dann günstiger erscheinen, aber nicht auf lange Sicht. Das ist nicht nachhaltig.

Wenn bei diesen drei Punkten Einigkeit herrscht, sind wir schon einen großen Schritt weiter. Denn dann haben wir ein gemeinsames Ziel. Jede Entscheidung für Barrieren ist eine Entscheidung gegen Teilhabe, Qualität und Nachhaltigkeit.

Mit dem gleichen Ziel fällt es auch viel leichter, den Weg gemeinsam zu gehen. Und hier sind wir wieder beim Ansatz von #EineBarriereWeniger: weitergehen, Schritt für Schritt, einfach machen.
Das Ziel kennen, aber den Fokus auf den nächsten Schritt richten.

Wir hören uns,
Ciao!

Schreibe einen Kommentar