Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist in Kraft getreten und bringt breite Aufmerksamkeit für das Querschnittsthema Barrierefreiheit. In vielen Bundesländern wird für größere Bauaufgaben ein Barrierefrei-Konzept gefordert. Um eine DGNB-Zertifizierung zu erhalten, ist Barrierefreiheit ein KO-Kriterium. Doch was bedeutet es denn eigentlich, barrierefrei zu bauen?
Es gibt eine Definition.
Tatsächlich ist das Wort gesetzlich definiert. Es gilt nach § 4 Barrierefreiheit des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, oder kurz: Behindertengleichstellungsgesetz – BGG:
Barrierefrei sind gestaltete Lebensbereiche dann, wenn sie für Menschen mit Behinderungen auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Und zwar:
- in allgemein üblicher Weise
- ohne besondere Erschwernis
- grundsätzlich ohne fremde Hilfe
Für die gestalteten Lebensbereiche werden Beispiele angegeben, wie bauliche Anlagen oder Verkehrsmittel. Grundsätzlich bezieht sich die Definition aber auf alle Bereiche des Lebens. Dabei ist es unerheblich, ob diese Bereiche analog oder digital sind – Barrierefreiheit ist auch im Internet relevant und wichtig. Und damit sind wir auch beim Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das ich zu Beginn erwähnte. Das gilt aktuell nur für Produkte und Dienstleistungen, nicht jedoch für die bauliche Umwelt. Ein Geldautomat muss nach diesem Gesetz zum Beispiel barrierefrei sein, die Bankfiliale jedoch nicht.
In allgemein üblicher Weise?
In meiner Nähe gibt es ein Finanzamt. Das hat einen vergleichweise repräsentativen Haupteingang. Vor diesem gibt es allerdings eine Stufe. Ein Mensch im Rollstuhl kann diesen Eingang also nicht benutzen. Dafür gibt es auf der Rückseite einen Eingang mit der Aufschrift „Nur für Behinderte“.
Und genau das ist nicht allgemein üblich! Allgemein üblich ist es, ein Gebäude durch den Haupteingang zu betreten. Wenn stattdessen ein Nebeneingang zu benutzen sein soll, dann ist das entsprechend nicht barrierefrei.
Ohne besondere Erschwernis?
Auch hier gibt es ein passendes Beispiel aus dem alltäglichen Leben. Der Fernverkehr der Deutschen Bahn mit ICE ist nicht barrierefrei. Diese Züge haben leider immer noch Stufen. Ein Zutritt ist nur mit einem Hublift möglich. Damit dieser auch einsatzbereit und das entsprechende Personal vor Ort ist, muss sich eine reisende Person im Voraus anmelden. Das ist ein zusätzlicher Aufwand, den nur Menschen mit Behinderung aufbringen müssen und damit eine besondere Erschwernis. Barrierefrei ist das also nicht.
Grundsätzlich ohne fremde Hilfe?
Hinter diesem Punkt verbirgt sich das Ziel, Autonomie zu gewährleisten. Menschen mit Behinderung sollen grundsätzlich selbständig agieren können. Das bedeutet, dass wir beispielsweise ein Gebäude allein betreten oder verlassen können. Oder dass wir alle notwendigen Informationen eigenhändig erhalten können – etwas, das auch im Internet gilt. Wenn also ein blinder Mensch eine sehende Person benötigt, die ihm Informationen vorliest, dann ist das nicht barrierefrei.
Barrierefreiheit ist überall relevant und wichtig.
Diese Definition wurde in fast allen Bauordnungen der Länder wortwörtlich übernommen. Sie ist damit auch im Baurecht gültig. Das Land Nordrhein-Westfalen hat einen Zusatz angefügt, den ich persönlich sehr begrüße:
Barrierefrei sind bauliche Anlagen, soweit sie für alle Menschen, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.
§ 2 Abs. 10 BauO NRW
Es ist richtig, dass Barrierefreiheit in erster Linie der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung dient. Genauso richtig ist es aber, dass Barrierefreiheit allen Menschen zugute kommt. Während sie für 10% der Menschen unerlässlich und für 30% notwendig ist, bietet Barrierefreiheit für 100% der Menschen höheren Komfort. Mit Kinderwagen oder schwerem Gepäck ist man schließlich ebenso auf stufenfreie Erschließung angewiesen, wie mit Rollstuhl oder Rollator.
Und damit sind wir schon bei den Kriterien, die von der baulichen Umwelt und allen anderen Lebensbereichen erfüllt sein sollen: auffindbar, zugänglich und nutzbar. Meine lieben Kolleg*innen der Initiative Barrierefrei Feiern und ich nutzen gern die Variante Hinkommen, Reinkommen, Klarkommen. Das drückt das gleiche aus, geht aber deutlich leichter ins Ohr.
Hinkommen, Reinkommen, Klarkommen
Zunächst muss man zum Gebäude hinkommen, es also auffinden können. Dazu gehören zum Beispiel die Anbindung an Parkplätze und den ÖPNV oder die Beschilderung im Außenbereich. Einmal dort angekommen, muss man in das Gebäude rein. Die Zugänglichkeit meint dabei nicht nur den Zugang ohne Stufen, sondern beispielsweise auch mit ausreichend breiten und leicht zu öffnenden Türen. Und wenn man dann drin ist, muss man dort natürlich auch Klarkommen, das Gebäude also nutzen können. Leitsysteme, Sanitäranlagen und ausreichend Sitzmöglichkeiten sollen hier als Stichworte erst mal ausreichen.
Wie genau diese Kriterien Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit umgesetzt werden sollen, wird weder durch das BGG noch die Bauordnungen festgeschrieben. Stattdessen wird nur geregelt, welche Gebäude in welchem Umfang barrierefrei sein sollen. Alles weitere steht in separaten Verordnungen, Regelwerken oder Normen. Die bekannteste ist sicherlich die Normen-Reihe DIN 18040 „Barrierefreies Planen und Bauen“. An deren laufender Überarbeitung bin ich im Normenausschuss übrigens beteiligt. In einem anderen Beitrag gehe ich da noch mal detaillierter drauf ein.
Gesetze regeln also, was barrierefrei sein soll. In Normen und anderen Regelwerken steht, wie Barrierefreiheit erreicht wird. Das ist eine ganz wichtige Abgrenzung, die ich gar nicht oft genug wiederholen kann. Konkret bezogen auf die DIN 18040 daher noch einmal:
Die Norm regelt nicht ob, sondern wie barrierefrei gebaut wird.
Normen und andere Regelwerke sind also letztlich eine Sammlung von Maßnahmen und Lösungsansätzen, mit denen Barrierefreiheit erreicht werden kann. Dabei wird auf unterschiedliche Behinderungen geachtet, da sich daraus verschiedene Anforderungen an die bauliche Umwelt ergeben. Universelle Barrierefreiheit ist dann erreicht, wenn Menschen unabhängig von ihrer Behinderung und im Rahmen ihrer individuellen Fähigkeiten die gebaute Umwelt nutzen können.
Da sich die Anforderungen mitunter widersprechen, ist eine behutsame und durchdachte Planung von Anfang an unerlässlich. Dabei unterstützt #EineBarriereWeniger, zwischendrin nicht den Faden zu verlieren und kontinuierlich am Ball zu bleiben. Wenn du den Podcast abbonierst oder auf Instagram und LinkedIn folgst, erhältst du regelmäßige Impulse, um Barrierefreiheit auch im Alltag präsent zu halten.
Wir hören uns,
Ciao!